GWTF-Jahrestagung
Berlin, 26. und 27. November 2004

Was kommt nach dem Konstruktivismus in der Wissenschafts- und Technikforschung?

GWTF e.V.

Call for papers (pdf) | Abstracts der Beiträge

Die konstruktivistische Wissenschafts- und Technikforschung hat unsere Vorstellungen davon, wie wissenschaftliches Wissen und Technik entstehen, revolutioniert. Sie hat die Entstehung von Wissen und Technik zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analysen gemacht und damit den Gegenstand der Wissenschafts- und Techniksoziologie neu definiert, und sie hat die ethnografische Beobachtung als Methode in die Wissenschafts- und Technikforschung eingeführt. Wir haben gelernt, dass wissenschaftliches Wissen nicht entdeckt, sondern erzeugt wird. Es gibt in den Labors keine besonderen epistemischen Praktiken, mit denen eine in der Natur verborgene Wahrheit entdeckt wird. Die Erzeugung neuen Wissens und neuer Technik ist eine lokale, idiosynkratische soziale Aktivität. In dieser Aktivität müssen Wissenschaftler Widerstände überwinden, die der Materialität ihrer Objekte und Methoden sowie der ‚Härte’ des verwendeten Wissens und der verwendeten Technik entspringen, und sie müssen in sozialen Aushandlungsprozessen erfolgreich sein. Das sind nur einige der Ergebnisse eines nunmehr drei Jahrzehnte existierenden Forschungsprogramms, die unser Bild von Wissenschaft und Technikentwicklung prägen und mittlerweile den Status von taken-for-granted assumptions haben.

Dass uns diese Ergebnisse so vertraut sind, sollte aber auch misstrauisch machen. Die Allpräsenz der Vokabel „Konstruktion“ lässt kaum mehr etwas von dem ursprünglichen Furor erkennen, der diese so revolutionär machte. Wann sind wir durch den Konstruktivismus das letzte Mal überrascht worden? Welche neuen Einsichten verdanken wir den letzten Jahren? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich das konstruktivistische Programm erschöpft hat. Wir vermissen offene Fragen, die nicht nur das nächste Projekt rechtfertigen, sondern die community herausfordern.

Eingestandene Defizite wie die lokalen Wirkungen von Institutionen und die Emergenz von Makroeffekten werden nicht bearbeitet. Das konstruktivistische Programm zerfasert in inkommensurable Untersuchungen von Sonderwelten. Die Materialität konstruktiver Praktiken wurde zwar entdeckt, konnte aber nicht – oder nur in Abgrenzung vom Konstruktivismus – in Erklärungsansätze einbezogen werden. Auch erscheint das konstruktivistische Programm heute mehr denn je introvertiert – Probleme der Steuerung von Forschung, sozioökonomische Fragen z.B. der Innovationsforschung, aber auch Legitimationsprobleme und normative Grundlagen von Wissenschaft und Technik bedürften der Kooperation des Konstruktivismus mit anderen Paradigmata, die jedoch kaum mehr erreichbar scheint. Man kann durchaus fragen, welchen Anteil der Konstruktivismus daran hatte, dass interne Differenzierungen in die Sackgasse von Aufspaltungen geführt haben, aus der sich die Wissenschafts- und Technikforschung kaum zu befreien vermag.

Was also kommt nach dem Konstruktivismus? Ist eine post-konstruktivistische Ära der Wissenschafts- und Technikforschung überhaupt denkbar? Das Ziel der Tagung besteht darin, aktuelle Bestände des konstruktivistischen Programms zu sichten und mit der Suche nach neuen Perspektiven und Programmen zu verbinden. Welche theoretisch und empirisch anspruchsvollen Ansätze in der Wissenschaftsforschung sind erkennbar, die die genannten (oder andere) Defizite überwinden können? Was wissen wir nicht über Wissenschaft und Technikentwicklung, was es unbedingt herauszufinden gilt? Welche Programme reichen über die Bearbeitung neuer empirischer Erscheinungen und über Moden hinaus? Gibt es Ideen für eine interne Re-Integration der Wissenschaftsforschung? Wir laden alle an der Wissenschafts- und Technikforschung Interessierten zur Bestandaufnahme und zur Diskussion über neue Perspektiven in der Wissenschaftsforschung ein.

Abstracts bis zum 31. Mai 2004 erbeten an:

Dr. Stefan Böschen
Lehrstuhl für Soziologie
PhilSo-Fakultät
Universität Augsburg
Postfach
86135 Augsburg
Stefan.Boeschen@Phil.Uni-Augsburg.de

Oder

Dr. Jochen Gläser
Jochen.Glaser@anu.edu.au

Abstracts der Beiträge (in der Reihenfolge des Programmablaufs)

Merz | Wolffram | Meyer/Schulz-Schaeffer | Berker | Grunwald | Krohn | Wehling | Heinze | Werle | Bonß

Martina Merz

EPF Lausanne und EMPA St. Gallen
martina.merz@epfl.ch

Konstruktivismus und Wissensgesellschaft

Den Konstruktivismus, wie er im Call for Papers pauschal zum Museumsstück erklärt wird, hat es in der Wissenschafts- und Technikforschung nie in einer einzigen Variante gegeben. Es stellt sich daher die Frage, ob die existierenden Varianten gleichermaßen an Brisanz verloren haben. Während ein Argumentationsstrang die Analogie wissenschaftlicher und anderer Praktiken herausarbeitet und ein Fehlen epistemischer Besonderheiten der (natur-)wissenschaftlichen Wissensgenerierung konstatiert, versucht ein anderer, den besonderen Erfolg der zeitgenössischen Wissenschaft zu begründen, und fragt diesbezüglich nach den Spezifika wissenschaftlicher Labors gegenüber anderen Orten der Gesellschaft. Analogie- und Differenzargumente, so die hier vertretene These, zielen dabei auf verschiedene alternative Vorstellungen und Konzeptualisierungen von Wissenschaft. Im geplanten Vortrag soll ein Versuch unternommen werden, Differenzargumente im o.g. Sinne für die aktuelle Thematisierung der Wissensgesellschaft fruchtbar zu machen. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Beobachtung, dass eine Auseinandersetzung einer konstruktivistisch orientierten Wissenschafts- und Technikforschung (STS) mit Vertretern des Wissensgesellschaftsmodells bisher kaum stattgefunden hat. Zu fragen wäre daher insbesondere, ob statt einer Musealisierung des Konstruktivismus nicht eher seine Erneuerung und Erweiterung durch einen Transfer bzw. eine Transformation in andere sozialwissenschaftliche Diskurse zu betreiben wäre.

Andrea Wolffram

TU Hamburg Harburg

Die Technikfrage in der Genderforschung. Ansätze für eine gendersensitive Technikentwicklung

In der konstruktivistische Wissenschafts- und Technikforschung hat die Analyse des Einflusses der Kategorie Geschlecht auf Wissen und Technik im deutschen Sprachraum bislang eine untergeordnete Rolle eingenommen. Im englischen Sprachraum haben Forscherinnen bereits ab Mitte der 80er Jahre den Grundstock der Feminist Technology Studies gelegt, indem sie in der Tradition der Social Studies of Technology die gegenseitige Gestaltung der Beziehungen zwischen Gender und Technik untersucht haben. Als Ergebnis wurde Technik sowohl als eine Quelle wie auch als Konsequenz von Geschlechterverhältnissen erkannt und umgekehrt (u.a. Cynthia Cockburn, 1985 und Judy Wajcman, 1991). Es wurden die Formen identifiziert, in denen sich die Gender-Technik-Relationen manifestieren. Anschließend an das Konzept von Sandra Harding (1986) wurden diese Relationen nicht nur in den Geschlechterstrukturen aufgedeckt, sondern auch in Geschlechtssymbolisierungen und in Geschlechtsidentitäten. Während der 90er Jahre wuchs aber auch in den Feminist Technology Studies zunehmend die Sensibilität für die Gefahr einer Essentialisierung sowohl von Gender als auch von Technik, wenn infolge der Annahme einer gegenseitigen Gestaltung von Gender und Technik, Technik als „männliche Kultur“ verstanden wurde. Dementsprechend wurde der theoretische Rahmen umgeformt in einen poststrukturalistischen Ansatz, in dem Gender und Technik als ko-produziert angesehen wurden. Hier wurde die Parallele gezogen zwischen der sozialen Konstruktion von Gender und der sozialen Konstruktion von Technik. Der Anschluss der Feminist Technology Studies an die konstruktivistische Technikforschung wurde vollzogen. Hinsichtlich der Frage, wie neues Wissen und neue Technik erzeugt wird, ergänzten sie diese um die Frage nach der Bedeutung der Kategorie Gender im Prozess der Technikentwicklung: Es wurde danach gefragt, wie stark, in welcher Art und Weise und mit welchen Auswirkungen technische Produkte „gegendert“ sind.

Gegenwärtig besteht innerhalb der Feminist Technology Studies noch ein erheblicher Forschungsbedarf, um die Prozesse des „Genderings“ bei der Entstehung von Technologien zu verstehen. Bestehende Öffnungen zu makrosoziologischen Fragestellungen, wie z.B. die Frage nach den Barrieren für die Partizipation von Techniknutzenden im Sinne des Konzeptes „user-centered design“, können jedoch nicht erklären, wie technische Produkte zu inkorporierten Barrieren für bestimmte Nutzergruppen werden. Dies verweist auf die Notwendigkeit mikrosoziologischer Zugänge sowie die Integration der Genderperspektive in die konstruktivistische Wissenschafts- und Technikforschung. Es erscheint zudem sinnvoll, diese theoretischen Konzepte der Feminist Technology Studies für den deutschen Diskussionszusammenhang fruchtbar zu machen.

In dem Beitrag soll der theoretische Rahmen der Ko-Konstruktion von Gender und Technik in seiner Stärke als konstruktivistische Kritik von Gender-Technik-Relationen diskutiert werden. Darüber hinaus werden de-konstruktivistische Ansätze und Methoden in den Blick genommen, um die Produktion bzw. Konstruktion einer breiten Palette von Männlichkeiten und Weiblichkeiten in den Blick zu bekommen. Die Anerkennung von Geschlechtlichkeiten wird als Startpunkt für Innovationen in der Technikforschung diskutiert, der u.a. in den Ausbildungsstätten des Ingenieurwesens und der Informatik seinen Ausgang nehmen kann.

Uli Meyer und Ingo Schulz-Schaeffer

TU Berlin, Institut für Soziologie

Drei Formen interpretativer Flexibilität

Eine Antwort auf die Frage, was nach dem Konstruktivismus in der Wissenschafts- und Tech-nikforschung kommt, oder genauer: kommen sollte, lautet: Konstruktivistische Ansätze und Konzepte, die die Prozesse der Erzeugung wissenschaftlicher Fakten und technischer Artefakte mit noch größerem Erkenntnisgewinn zu beschreiben und zu erklären vermögen. Diese Antwort geht einerseits davon aus, dass die konstruktivistische Basisannahme für die Wissenschafts- und Technikforschung weiterhin unverzichtbar ist, die Annahme also, dass die Welt der für uns be-deutsamen Phänomene eine Welt von Phänomenen ist, die als diese Phänomene erst durch Pro-zesse sozialer Sinngebung und Bedeutungszuschreibung konstituiert werden. Sie impliziert an-dererseits, dass die bisherige Umsetzung dieses Grundgedankens in der Wissenschafts- und Technikforschung Defizite hat, die es zu bearbeiten gilt. In unserem Vortrag soll es um ein solches Defizit gehen und um einen Vorschlag, es zu behe-ben. Wir meinen, dass das (nicht nur) für die sozialkonstruktivistische Richtung in der Wissen-schafts- und Technikforschung zentrale Konzept der interpretativen Flexibilität auf einer unzu-lässigen Verallgemeinerung eines Spezialfalls beruht, und schlagen vor, es durch die Konzepti-on eines Zusammenhangs von drei Formen interpretativer Flexibilität zu ersetzen.

Das Konzept der interpretativen Flexibilität resultiert ursprünglich aus der wissenschaftssozio-logischen Beobachtung, dass es Situationen wissenschaftlicher Kontroversen gibt, die sich nicht durch experimentelle Überprüfung klären lassen. Die Ursache dafür besteht darin, dass – neben der experimentell zu überprüfenden strittigen Frage – auch keine Einigkeit darüber erzielt wer-den kann, wie eine experimentelle Anordnung aussehen müsste, die geeignet wäre, diese Frage zu klären. Man müsste wissen, was das richtige Ergebnis ist, um den richtigen experimentellen Aufbau wählen zu können, aber dies ist ja, was man mit dem Experiment erst herausfinden möchte. Dieser unerfreuliche Zustand wird als „experimenter’s regress“ bezeichnet, wir können auch sagen, dass ein Regress der Wahrheit vorliegt. Da nach den Spielregeln der Wissenschaft nicht zwei konkurrierende wissenschaftliche Aussagen gleichzeitig wahr sein können, entsteht ein mehr oder minder großer Entscheidungsdruck. Und da der experimentelle Nachweis als Mit-tel der Entscheidungsfindung ausfällt, bleibt nur die Möglichkeit der sozialen Aushandlung der Erkenntnisansprüche. Und so geschieht es, einschlägigen Beobachtungen wissenschaftlicher Kontroversen dieser Art zufolge, denn auch.

In analoger Weise, so haben sozialkonstruktivistische Technikforscher argumentiert, wird die Frage nach der Funktionsfähigkeit und Nützlichkeit technischer Artefakte in technologischen Kontroversen zum Gegenstand interpretativer Flexibilität. Diese Analogie – und das ist unser erster Kritikpunkt – hat sich allerdings viel zu sehr am Vorbild der wissenschaftlichen Kontro-verse orientiert. Entscheidende Differenzen zwischen der interpretativen Flexibilität wissen-schaftlicher Fakten und der interpretativen Flexibilität technischer Artefakte sind unterbelichtet geblieben. Die Frage, die hier unterschiedlich gedeutet werden kann, also interpretative Flexibi-lität begründet, lautet: Stellt das betreffende technische Artefakt, andere Artefaktvarianten oder auch eine ganz andere technische Lösung eine nützliche Funktionalität bereit. Sie ist deshalb interpretativ flexibel, weil abhängig von den jeweiligen unterschiedlichen Nutzungsinteressen unterschiedlicher Nutzergruppen und den unterschiedlichen Anforderungen unterschiedlicher Nutzungskontexte verschieden beantwortet werden kann. Und auch diese Form der interpretati-ven Flexibilität verweist auf einen unauflösbaren Regress: Ob ein technisches Artefakt eine nützliche Funktionalität aufweist, entscheidet sich letztlich erst dann, wenn es erfolgreich in einen Nutzungskontext eingebaut worden ist. Aber das kann man noch nicht wissen, wenn es zu entscheiden gilt, ob ein Artefakt bis zur Nutzungsreife entwickelt werden soll. Wir können hier von einem Regress der Nützlichkeit sprechen. Allerdings gibt es keinen Grund zu erwarten, dass diese interpretative Flexibilität unter den gleichen Bedingungen ausgehandelt wird wie die in-terpretative Flexibilität wissenschaftlicher Erkenntnisansprüche: Technische Artefakte konkur-rieren nicht in der gleichen Weise wie einander widersprechende wissenschaftliche Aussagen. Es können sich sehr wohl mehrere nebeneinander durchsetzen.

Für die Erzeugung wissenschaftlicher Fakten und technischer Artefakte ist unserer Ansicht nach aber auch noch eine dritte Form interpretativer Flexibilität von großer Bedeutung. Sie tritt dann zutage, wenn eine Kontroverse über die Zukunftsträchtigkeit und damit über die Weiterführung von Forschungsansätzen besteht. Auch in diesem Fall existieren zwei umstrittene Problemberei-che, bei der der eine jeweils nur durch die Beantwortung des anderen geklärt werden kann. Die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Ansatz als Forschungsprogramm oder Entwicklungspfad weiter-zuführen, kann nur dann eindeutig beantwortet werden, wenn sicher ist, dass er erfolgreich sein wird. Dies wiederum kann allerdings nur dadurch festgestellt werden, dass der Ansatz weiterge-führt wird. Analog zu den beiden anderen Formen interpretativer Flexibilität können wir hier von einem Regress der Relevanz sprechen. In diesem Fall wird nicht die Wahrheit wissenschaft-licher Aussagen oder die Nützlichkeit technischer Artefakte kontrovers diskutiert. Vielmehr besteht Uneinigkeit über die Relevanz bestimmter experimenteller Ergebnisse bzw. technischer Entwicklungen für die Bewertung des zukünftigen Potentials verschiedener Forschungspro-gramme oder Entwicklungspfade. Auch hier muss es nicht zwingend zu einer sofortigen Been-digung der Kontroverse und damit der Durchsetzung eines Ansatzes kommen. Konkurrierende Forschungsansätze können durchaus parallel existieren. Die Begrenztheit von Forschungsgel-dern und das Streben nach wissenschaftlicher Kohärenz und/oder technischer Standardisierung befördert jedoch die Beendigung solcher Kontroversen durch soziale Aushandlung.

Der entscheidende Gewinn dieser Ausdifferenzierung des Konzepts der interpretativen Flexibi-lität besteht in der Annahme, dass die soziale Konstruktion wissenschaftlichen Wissens wie auch die soziale Konstruktion technischer Artefakte im Normalfall auf allen drei Formen inter-pretativer Flexibilität beruht. In wissenschaftlichen Kontroversen geht es (immer unter der Be-dingung eines Mangels an konsentiertem Wissen) nicht nur um Wahrheit, sondern evidenterma-ßen auch um Relevanz. In wissenschaftlichen Kontroversen geht es aber auch um Nützlichkeit. Sehr deutlich zeigt sich das beispielsweise im Bereich der soziologischen Gesellschaftstheorie. Wir beobachten dort Ansätze, die sich nicht nach dem Wahrheitskriterium wechselseitig aus-schließen, weil sie ihre Aussagen in Abhängigkeit von nicht vergleichbaren Anfangsannahmen treffen, die aber dennoch konkurrieren: und zwar um größere oder geringere Nützlichkeit. Auf der anderen Seite bezieht sich die interpretative Flexibilität technischer Artefakte nicht nur auf Nützlichkeit, sondern ebenfalls auf Relevanz: Entscheidungen über die Entwicklung technischer Artefakte sind eng verbunden mit Entscheidungen über technologische Entwicklungspfade. Und hier geht es um die Entscheidung darüber, welcher der zukunftsträchtigste Entwicklungspfad ist. In Gestalt der Frage nach technischer Effizienz geht es aber auch um Wahrheit: Wenn für zwei konkurrierende technische Verfahren jeweils der Anspruch erhoben wird, mit sparsameren Mit-teln zu einem bestimmten Ziel zu gelangen, kann nur ein Anspruch wahr sein. Interpretative Flexibilität, sofern sie hier auftaucht, ist auf Wahrheit bezogene interpretative Flexibilität. Die Beschäftigung mit dem Konzept der interpretativen Flexibilität zeigt, dass der konstruktivisti-sche Grundgedanke noch viel unausgeschöpftes Potential für die Wissenschafts- und Technik-forschung besitzt. Es auszuschöpfen, ist eine mögliche Antwort auf die Leitfrage der Tagung.

Thomas Berker

Centre of Technology and Society, Norwegian University of Science and Technology, Trondheim, Norway

After Actor Network Theory . Zwei Optionen und ein interdisziplinäres Projekt zur Entwicklung und Implementation energieeffektiver Häuser

Im Jahr 1999 ziehen die Stars der Actor Network Theory (ANT) Bilanz. Viel ist zu diesem Zeitpunkt erreicht seit den Anfängen in den frühen 80er Jahren. Von einer mehr oder minder esoterischen Beschäftigung mit Translationen in Netzwerken ist der Begriffsapparat der ANT und ihrer Verwandten zu einem ‚obligatorischen Passagepunkt’ der Technik- und Wissenschaftsforschung geworden. Wenn man den einleitenden Beiträgen des Sammelbandes „Actor Network Theory and After“ aus diesem Jahr glaubt, so kommt den Protagonisten der Theorie der Erfolg ungelegen. Sie beklagen den inflationären Gebrauch des Begriffs Netzwerk, der dadurch seiner kritisch-produktiven Kraft gegen jede Form von Essentialismus beraubt würde (Latour), und sie setzen sich mit Verknöcherung ihrer Theorie auseinander, auf der Suche nach dem Rettens- und Verwerfenswerten (Law).

Der hier skizzierte Beitrag beginnt mit der Darstellung zweier prominenter Varianten des ‚after ANT’: John Laws Suche nach nichtinstrumentellen Netzwerken und neuen erkenntnisleitenden Metaphern auf der einen Seite und Latours Neuschreibung der Moderne und ‚neuer Realismus’ auf der anderen verstehen sich als Alternativen und Fortschreibung nicht nur von ANT sondern auch im weiteren Sinne aller konstruktivistischen Ansätze. Die praktisch-politischen Implikationen dieser beiden Vorschläge zur Neuorientierung sind derart unterschiedlich, dass man getrost von einem Scheideweg sprechen kann. Dies zeigt sich namentlich bei ihrer Konfrontation mit Praktiken zeitgenössischer Technologieentwicklung.

Ich arbeite seit knapp zwei Jahren als Soziologe in einem interdisziplinären Projekt zur Entwicklung und Implementation energieeffektiver Technologien in Häusern. Der Wissenschafts- und Technikforschung wurde in diesem Projekt eine unüblich große Rolle zugewiesen. Das liegt u.a. an einer gewissen Ratlosigkeit der einschlägigen Ingenieure und Ökonomen, die beim besten willen nicht erklären können, warum existierende energieeffiziente Technologien sich so unerwartet langsam verbreiten. Eingebunden und mit ungewohntem Einfluss versehen stellt sich dem Wissenschafts- und Technikforscher die Frage nach der Rolle seiner Profession und dem Nutzen ihrer Theorien verschärft.

Anhand dieses Falls werden die Antworten klassischer ANT und die neueren Beiträge Latours und Laws in ihrer jeweiligen praxistauglichen Schrumpfform vorgeführt. Diese Übung informiert mein eigenes Rollenverständnis, das abschließend umrissen wird.

Armin Grunwald

Die sozialkonstruktivistische Resignation vor der „Konstruktion“

Sozialkonstruktivistische Techniktheorien beanspruchen, die soziale Konstruiertheit von Technik empirisch zu belegen und zu erklären. Neben dem Erklärungsanspruch ex post stand von Anfang an der Bezug zur Technikgestaltung ex ante: die Erklärung der Konstruktionsvorgänge wurde als Blaupause für praktische Fragen der „Kon-struktion“ angesehen. Das „Social Construction of Technology“ (SCOT) ist, genauso wie die Leitbildforschung und die Netzwerktheorien der Technikentwicklung, gestartet mit der Emphase der Techniksteuerung oder wenigstens -gestaltung.

Die Bilanz sozialkonstruktivistischer Techniktheorien für Gestaltungsfragen ist jedoch ernüchternd. Angesichts der Herausforderungen der „Konstruktion“ sind sie ins Leere gelaufen. Von vielen ist die „Zahnlosigkeit“ erklärender Theorien für praktische Fra-gen des Gestaltens diagnostiziert worden. Statt zur Gestaltung beizutragen, er-schöpft sich sozialkonstruktivistische Technikforschung in retrospektiven Fallstudien und ist ein Papiertiger ohne Gestaltungskraft geblieben. Die erklärende Kraft dieser Ansätze ist nicht zu leugnen, die Hoffnungen in praktischer Hinsicht wurden jedoch verfehlt.

Im Vortrag wird die Frage gestellt, wo die Gründe für dieses partielle Versagen liegen – wurde dem Sozialkonstruktivismus doch sogar vorgeworfen, die Beliebigkeit der Gestaltbarkeit oder einen bloßen Voluntarismus zu vertreten. Die These ist, dass diese Ansätze die grundlegende Verschiedenheit von sozialwissenschaftlicher (beo-bachtender) Perspektive und den Notwendigkeiten, in praktischen Fragen eine Teil-nehmerperspektive einzunehmen, in der gehandelt, entschieden, gesteuert und ges-taltet wird, nicht beachtet haben. Auch aus einer unter Erklärungsintentionen erfolg-reichen Analyse der Technikentwicklung folgt in keiner Weise, wie bei der nächsten Technikentscheidung entschieden werden solle. Für solche Entscheidungen kommt es auf normative Kriterien, eine individuell oder kollektiv handlungs-, planungs- oder entscheidungstheoretische Perspektive an. Deren Vernachlässigung in sozialkon-struktivistischen Ansätzen hat nur zu einer erklärenden Bestätigung des blinden Weltlaufs geführt, letztlich zur evolutionstheoretischen Resignation des Sozialkon-struktivismus vor den Herausforderungen der Praxis.

Als Ausweg aus diesem Dilemma werden Ansätze der inkrementellen Planung und von Theorien des Gestaltens diskutiert

Gliederung
1. Rekonstruktionen normativer Defizite sozialkonstruktivistischer Ansätze (Leit-bildforschung, Netzwerktheorie, Evolutionäre Techniktheorie)
2. Die Unergiebigkeit rein deskriptiver Forschung für Gestaltungsfragen
3. Der Ausweg: Konstruktivismus im neuen Gewand

Wolfgang Krohn

Die Realität der Konstruktion. Über die methodologischen Grenzen des soziologischen Konstruktivismus

Peter Wehling

Universität Augsburg

„Postkonstruktivismus“ – eine neue Perspektive in der Wissenschaftsforschung?

Die ubiquitäre und häufig undifferenzierte Verwendung des Etiketts „Konstruktivismus“ hat bisher weit gehend verdeckt, dass sich bereits seit Mitte der 1980er Jahre innerhalb der damals noch recht neuen konstruktivistischen Wissenschafts- und Technikforschung Entmischungstendenzen und neue Trends zeigten, die Michael Lynch schon 1993 als „postkonstruktivistisch“ bezeichnet hat. Knapp zehn Jahre später hat der Wissenschaftsphilosoph Joseph Rouse diesen Begriff erneut aufgegriffen, um Positionen in der Wissenschaftsforschung zu kennzeichnen, die sich der festgefahrenen Polarisierung zwischen den beiden „philosophischen Untoten“ Realismus und Konstruktivismus zu entziehen versuchen. Lynch hatte, als er den Begriff „postkonstruktivistisch“ Anfang der 1990er Jahre prägte, vor allem die „actor-network-theory“ von Bruno Latour, Michel Callon und anderen vor Augen. Darüber hinaus lassen sich mit diesem Begriff – obwohl sie ihn in der Regel nicht zur Selbstbeschreibung verwenden – aber auch praxistheoretische Varianten der Wissenschaftsforschung (Andrew Pickering, Rouse u.a.), neuere Entwicklungen in der feministischen Wissenschaftsforschung (Donna Haraway, Karen Barad u.a.) und der Wissenschaftsgeschichte (z.B. die Arbeiten von Hans-Jörg Rheinberger) charakterisieren.
Das Ziel des vorgeschlagenen Beitrags ist es, zu verdeutlichen, dass sich mit dem zunächst rein formal anmutenden Label „Postkonstruktivismus“ eine neue, aussichtsreiche Forschungsperspektive in der Wissenschaftsforschung kennzeichnen lässt, deren konzeptioneller Kern in der Analyse von Wissenschaft als materialer, performativer Praxis zu sehen ist. Diese Perspektive unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom „klassischen“ wissenschaftssoziologischen (Sozial-)Konstruktivismus (wenngleich die Grenzen gelegentlich fließend sind) und weist über dessen Einseitigkeiten hinaus. Postkonstruktivistisch verstehe ich dabei nicht primär im zeitlichen Sinne, sondern als eine Art konzeptionelles „Danach“: Hinter die Intervention des Konstruktivismus kann nicht mehr einfach zurückgegangen und beispielsweise ein „traditioneller“ repräsentationaler Realismus revitalisiert werden.
Im Einzelnen soll diese in sich durchaus heterogene und vielschichtige postkonstruktivistische Perspektive unter den folgenden vier Aspekten näher erläuert werden:

1) Zunächst soll sehr knapp und exemplarisch rekonstruiert werden, wie sich seit den 1980er Jahren im Zuge der beginnenden (Selbst-)Kritik der konstruktivistischen Wissenschaftssoziologie neue, „postkonstruktivistische“ Perspektiven ausdifferenziert und konkretisiert haben.

2) Orientiert an den Stichworten Materialität, Performativität und Praxis sollen die zentralen theoretischen Begriffe und (Hintergrund-)Annahmen dieser Perspektive(n) skizziert und erläutert werden. Das „Neue“ hierbei ist, dass damit der materiellen Realität – anders als im Sozialkonstruktivismus – (wieder) eine konstitutive Bedeutung für wissenschaftliche Erkenntnis und „Wahrheit“ eingeräumt wird, ohne jedoch in den Horizont eines repräsentationalen wissenschaftlichen Realismus zurückzufallen.

3) Daran anschließend möchte ich darstellen, inwieweit und wie eine solche Perspektive über die Polarisierung und Dichotomie von „Realismus“ und „Konstruktrivismus“ hinausführt. Zur Verdeutlichung soll dies mit den ähnlich ausgerichteten, aber letztlich scheiternden Bemühungen der Luhmannschen Wissenssoziologie und Erkenntnistheorie kontrastiert werden.

4) Dass eine postkonstruktivistische Perspektive nicht nur für die Bearbeitung (meta-) theoretischer Kontroversen, sondern auch für eine problemorientierte Wissenschaftsforschung fruchtbar sein kann, soll abschließend anhand einiger Überlegungen zur Soziologie wissenschaftlichen Nichtwissens illustriert werden: Zum einen bietet ein „postkonstruktivischer“ Blick am ehesten die Möglichkeit, die Erzeugung von Nichtwissen durch wissenschaftliche Praktiken „auf ganzer Breite“ zu erfassen und insbesondere den Schlüsselbegriff des „unerkannten Nichtwissens“ angemessen zu thematisieren. Zum anderen kann die Analyse der Konstitution von und des Umgangs mit wissenschaftlichem Nichtwissen verdeutlichen, dass eine postkonstruktivische Forschungsperspektive nicht auf die kognitiven Aspekte wissenschaftlicher Wissenspraxis beschränkt bleiben muss, sondern durchaus offen und anschlussfähig ist für institutionelle Fragestellungen.

Roger Häussling

Institut für Soziologie, Universität Karlsruhe

roger.haeussling@sozio.geist-soz.uni-karlsruhe.de
http://soziologie.geist-soz.uni-karlsruhe.de/Haeussling.html

Gesellschaftliche und organisationale Settings, transhumane Kooperationsformen und prägende Materialität als weiterführende Perspektiven der Wissenschafts- und Technikforschung. Interaktionsanalyse mittels eines Mehrebenenmodells am Fallbeispiel der Robotikforschung

Der geplante Beitrag möchte auf drei weiterführende Perspektiven in der Wissenschafts- und Technikforschung hinweisen, die gleichzeitig über die konstruktivistischen Konzepte hinausweisen. Zum einen soll auf die Prägekraft gesellschaftlicher und organisationaler Settings für die Erzeugung von Neuem abgehoben und Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man diese in Untersuchungen von Forscherteams einbeziehen kann. Des Weiteren soll auf die wachsende Bedeutung transhumaner Kooperationsformen bei der Erzeugung von Neuem hingewiesen werden. Die interaktive Verflechtung technischer und menschlicher Kompetenzen ist nämlich im Stande, Synergien eigener Art zu erzeugen, die jenseits rein menschlicher Kooperationen angesiedelt sind. Damit aufs engste verknüpft soll schließlich die Bedeutung materialer Aspekte, was die konkrete Gestaltungsarbeit anlangt, erörtert werden.

All dies wird anhand eines Fallbeispiels illustriert: Es handelt sich um eine Untersuchung eines Forscherteams der Robotik, das Mensch-Roboter-Kooperationen zum Forschungsgegenstand hat. Die Forschungsbemühungen zielen konkret auf die Schaffung von „Lernarrangements“ ab, in denen der Roboter durch die Interaktionen mit menschlichen Akteuren gewisse „Verhaltensweisen“ zur Bewältigung von Aufgaben „lernt“. (Die Anführungszeichen sollen darauf hinweisen, dass Begriffe wie Lernen, Verhaltensweisen und Aktivitäten beim Roboter einen anderen Sinngehalt besitzen als ihre Verwendung bezüglich des Menschen.)

Anhand dieses Fallbeispiels wird aufgezeigt, wie nun beispielsweise Budgetierungen, wissenschaftliche Semantiken und organisationale Bedingungen die Forschungsinteraktivität rahmen. Die angestrebten neuen Verhaltensweisen des Roboters werden kooperativ durch das Hand in Hand gehen der Roboteroperationen und der menschlichen Interventionen gewonnen. Dabei machen sich besonders restriktiv die materialen Aspekte der Roboterausstattung (z.B. Kraftmomentensensor) bemerkbar.

Die Einbeziehung von Makro- und Meso-Settings, von Human-Nonhuman-Kooperationen sowie von materialen Aspekten von Gestaltungsarbeit in die Untersuchung von Forschungsaktivitäten soll hier mittels eines Mehrebenenmodells der Interaktionen bzw. Interaktivität erfolgen. Es werden dabei folgende vier Ebenen unterschieden:
(1) Ebene des semantischen und organisationalen Kontextes: Jede Interaktion bewegt sich innerhalb eines Kontextes und ist nur aus ihm heraus korrekt deutbar. In Anlehnung an Luhmanns Semantikbegriff sind zu einem solchen Kontext kulturelle Symbole, Begriffe, Allgemein , Fach- und Szenesprachen, Deutungs- und Handlungsmuster, das Repertoire an denkbaren Perspektiven, Normen, Werte, Gestaltungs- und Verknüpfungs“logiken“ sowie das Set an etablierten Rollen zu zählen.
(2) Ebene des Interaktionsnetzwerks: Die Kooperation wird als ein Interaktionsnetzwerk mit emergenten Interaktionskorridoren, Dynamiken und Positionszuweisungen (H.White) gefasst.
(3) Ebene des Interagierenden: Von Interaktionen werden hier Interventionen abgegrenzt. Bei der Mensch-Roboter-Kooperation wird nämlich besonders deutlich, dass sich Interventionen in unintendierter Weise als nicht-konstruktive Interaktionen fortsetzen können. Denn eine Intervention steht und fällt mit der in ihr zum Ausdruck kommenden Übersetzung der Motive und Bedeutungszuschreibungen des menschlichen Akteurs in Handlungskalküle auf Basis der ablaufenden fokalen Interaktionen.
(4) Ebene des Sensuellen: Der Sensorausstattung des Roboters (Optische, Akustische, Berührungs- und Kraftmomentensensoren) stehen die menschlichen Sinne gegenüber.

Auf die Beantwortung der Fragen, wie die einzelnen Ebenen empirisch erschlossen und wie die gesammelten Daten kompiliert werden können, wird ein besonderer Akzent bei der Darlegung der einzelnen Ebenen gelegt.

Thomas Heinze

Fraunhofer ISI Karlsruhe

Die Beziehungen der Wissenschaft zu ihrer gesellschaftlichen Umwelt

Die konstruktivistische Wissenschaftsforschung hat sich vor allem mit der internen Beschaffenheit der Wissenschaft auseinandergesetzt, also mit den Herstellungsprak-tiken neuen Wissens und den epistemischen Kulturen innerhalb der Scientific com-munity. Von zahlreichen Autoren wird eine "disunity of the sciences" konstatiert. Die Wissenschaft als Funktionssystem der Gesellschaft ist aus dem Blickfeld gera-ten mit der Folge, dass aktuell drängende Fragen zur Kopplung der Wissenschaft mit den Funktionssystemen Wirtschaft, Politik, Recht, Massenmedien oder Ge-sundheit nur unzureichend oder gar nicht erforscht werden.

Der Beitrag diskutiert die These, dass die in der mikrofundierten, konstruktivisti-schen Wissenschaftsforschung herausgearbeitete kognitive Heterogenität einzelner Segmente des Wissenschaftssystems (Disziplinen, Forschungsfelder) meso- und makrobezogene Anschlussüberlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und an-deren Funktionssystemen eröffnet. Die Wissenschafts- und Technikforschung be-darf hierzu einer funktionalistischen Ausrichtung. An aktuellen Beispielen werden Forschungsfragen zu den Kopplungen Wissenschaft-Wirtschaft (WW) und Wissen-schaft-Recht (WR) diskutiert.

Beispiel 1: Forschungseinrichtungen und Unternehmen übergreifende Netzwerke in der wissensintensiven Bio- und Nanotechnologie. Wie sehen die Strukturen solcher Netzwerke aus und welchen Einfluss haben sie auf die technologische Leistungsfä-higkeit von Unternehmen? Wie wirken sich solche Netzwerke auf die Herstellung innovativen Wissens in der Forschung aus?

Beispiel 2: Patentierung von Software und Lebewesen. Die zunehmende Patentier-barkeit von neuen Erkenntnissen in den Life sciences und Computer sciences wirft die Frage auf: Wie muss das Patentrecht gestaltet werden, damit es die Erkenntnis-produktion in diesen Segmenten der Wissenschaft fördert und nicht blockiert?

Beispiel 3: Regelungsstrukturen des Rechts und Forschungskooperation in der Wis-senschaft. Die in den "Systemevaluationen" konstatierte institutionelle Versäulung des deutschen Wissenschaftssystems wirft die Frage auf, wie sich das Wissen-schaftsrecht auf die Routinen und Entscheidungsprogramme von Forschungsein-richtungen, sich in organisationsübergreifende Kooperationen zu engagieren, aus-wirkt: Wie sehen Regelungsstrukturen aus, die Kooperationen zwischen den institu-tionellen Domänen des deutschen Forschungssystems ermöglichen?

Raymund Werle

MPI für Gesellschaftsforschung Köln

werle@mpi-fg-koeln.mpg.de

Interaktion technischer und institutioneller Entwicklung als neue Perspektive akteurorientierter institutionalistischer Technikforschung

Eine der Schwächen, die der Sozialkonstruktivismus allerdings mit anderen Ansätzen in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung teilt, ist die Neigung zu einer sozialdeterministischen Argumentation. Sie wird auch durch den Aktor-Netzwerk-Ansatz nicht überwunden. Auch die institutionalistische Technikforschung ist in diesem Sinne ganz überwiegend sozialdeterministisch. Ein zur Diskussion zu stellender Ausweg aus dieser Problematik liegt darin, Technik als kausalen Einflussfaktor wieder in die Theoriebildung einzuführen, ohne jedoch zum Technikdeterminismus zurückzukehren. Institutionelle Konstellationen und Entwicklungen beeinflussen die Technik wie auch die Technik bzw. technische Opportunitätsstrukturen und deren Veränderung die Institutionen beeinflussen. Technische und institutionelle Entwicklungen sind also aufeinander bezogen und beeinflussen sich wechselseitig, wobei beide Bereiche auch spezifische eigene Entwicklungsdynamiken aufweisen. Die Vermittlung technischer und institutioneller Einflüsse erfolgt über individuelle und kollektive Akteure mit ihren je eigenen Interessen, Präferenzen und Strategien.

Wolfgang Bonß

Kontextualismus, Verwissenschaftlichung und reflexive Modernisierung


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